"Aus meinen persönlichen Erfahrungen der letzten Jahre kann ich mittlerweile berichten, dass ich auch einige weibliche Gastronominnen kenne - aber wenige, vor allem wenige bekannte Persönlichkeiten. Fun fact: während ich dies überarbeite, korrigiert autocorrect von Google direkt das “Gastronominnen” zu “Gastronomen”.
Gender Spotlight mit Fokus auf die Gastronomie. Mit mir hier ist Jojo Aoyama, Gründerin vom Sakura Café in Berlin Mitte. In unserem Gespräch geht es sowohl um Jojos Entscheidung, sich selbständig zu machen, als auch um ihre Gedanken zu den Strukturen in der der Industrie, in der sie sich den Traum vom eigenen Café ermöglichte.
Jojo, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit mir zu sprechen. In unserem ersten Gespräch hast du mir erzählt, dass du schon immer eine Liebe zu gutem Essen hattest. Du meintest, gutes Essen sei für dich eine Geste von Wertschätzung. Was heißt das für dich?
Essen hat verschiedene Funktionen für den Menschen, einerseits die physiologischen - Nährstoff- und Energieversorgung des Körpers, andererseits aber auch psychologische und soziale Funktionen. Ein simples Lebensmittel bietet meinem Verständnis nach das Potential, Wertschätzung zu zeigen, sowohl für das Lebensmittel an sich, es mit Respekt zu betrachten, zu behandeln, und zu genießen, als auch die Herkunft des Lebensmittels zu achten, und im letzten Schritt bei der Zubereitung, Mühe und Hingabe zu investieren, etwas außergewöhnlich schmackhaftes, schönes daraus zu machen, um der Person oder den Personen, die das Essen am Ende genießen, einen Genussmoment und Freude, die über den reinen Nährwert des Lebensmittels hinausgehen, zu bieten. All das ist in meiner Auffassung ein total spannender Prozess, wo Wertschätzung gezeigt werden kann und meiner Auffassung nach sollte.
Das klingt nach einem spannenden Zusammenspiel. Du hast Ernährungswissenschaften studiert. Auch hier hat dich das Zusammenspiel von psychischen, physischen und sozialen Komponenten interessiert. Wie bist du von einem Ernährungswissenschaften-Studium in Gießen zur Café-Eröffnung in Berlin-Mitte gekommen?
Parallel zum Studium jobbte ich konstant in verschiedenen Gastro-Konzepten (sowohl in der Küche als auch im Service). Dabei wurde mir sehr schnell die Illusion "ach wie schön es wäre, ein eigenes Café zu eröffnen, Kuchen zu backen, Kaffee anzubieten” genommen. Ich erhielt erste Einblicke in die Realität von Gastronomie, welche neben viel harter körperlicher Arbeit, Zeitdruck und unternehmerischem Stress auch leider zu oft sehr wenig mit ethischem Bezug von Zutaten, Zeit für handwerkliche, achtsame Zubereitung und guten Arbeitsbedingungen zu tun hat. Die romantische Vorstellung vom gemütlichen Kuchen backen und davon leben zu können, lässt sich leider nicht so eins zu eins auf die unternehmerische Realität anwenden. Die Freude daran, leckeres aus tollen Zutaten zuzubereiten, und die Freude daran, Menschen zu bewirten, blieb mir allerdings. Und so wuchs der Wunsch, einen Ort und Bedingungen zu schaffen, wo diese Leidenschaften, welche ja so einige Leute teilen, beruflich umgesetzt werden können.
Die Interdisziplinarität des Vorhabens, sich nicht nur mit dem Backen, sondern auch mit wirtschaftlichen und sozialen Aspekten von Unternehmertum zu befassen, empfand ich damals jedoch noch als abschreckend komplex.
Das ist es ja auch irgendwie. Nochmal zurück zur Uni-Zeit: Du hast dann in Teilzeit bereits angefangen, Kuchen und Cupcakes anzubieten, und zwar als selbständige Tätigkeit. Du hast diese z.B. im Studi Cafe verkauft und so. Das klingt für mich nach einer Gelegenheit, sich auszuprobieren. Oft bedarf es, so meine Einschätzung, solche Schutzräume, um sich heranzutasten. Studien zeigen, dass Personen die weiblich sozialisiert sind, oft weniger Risikobereitschaft haben. Da klingt es für mich umso relevanter, solche Spielwiesen zu eröffnen. Wie war diese Zeit für dich?
In dieser Zeit habe ich sehr viel gelernt und konnte Selbstbewusstsein und Vertrauen in meine Gründungsmotivation aufbauen. Nachfrage nach meinen “aus guten Zutaten” - d.h. ökologisch, pflanzlich, fairen Zutaten - gebackenen Produkten war da, das hat mich darin bestärkt, diese möglichst nachhaltig und handwerklich produzierten Gebäcke weiterhin anbieten zu wollen.
So kam ich von der Überzeugung “ich mache niemals ein Café auf, das funktioniert nicht oder nur unter Bedingungen, die ich nicht vertreten kann” (basierend auf Beobachtungen aus Cafés und Gastrobetrieben, in welchen in gejobbt hatte, in welchen teilweise mit minderwertigsten Zutaten gearbeitet wurde) - zu der Motivation, mich der Herausforderung zu stellen. Ziel ist nach wie vor die Etablierung eines ganzheitlich nachhaltigen Konditorei- und Cafékonzepts. In welchem nicht nur mit ökologisch nachhaltigen Produkten gearbeitet wird, sondern auch auf sozial nachhaltige Arbeitsstrukturen, Aspekte wie Partizipation geachtet wird und im besten Fall den Teammitgliedern Selbstverwirklichung bei der Arbeit ermöglicht wird. So möchte ich - so wollen wir - unseren Gästen ehrliche Wertschätzung anbieten, in Form von tatsächlich mit Liebe gebackenen Kuchen & Torten. Ich bin sehr dankbar für diese Gelegenheiten, sowohl im Bachelorstudium in Gießen, wo leerstehende Uni-Räumlichkeiten zum Ausprobieren solcher Konzepte zur Verfügung standen, als auch im Master-Studium in Berlin, neben welchem ich die Chance hatte, in der Alten Münze, einem interdisziplinär-kulturellem Raumnutzungskonzept eine erste kleine B2B-Konditorei aufzubauen.
Durch diese Chancen durfte ich viele tolle Menschen kennen lernen, gerade in der Alten Münze auch erste Kontakte zu anderen Selbstständigen - wichtig: hier auch zum ersten Mal andere weibliche Selbstständige kennen gelernt, und erste Einblicke darin erhalten, was mich erwarten könnte, als Unternehmerin.
Das finde ich spannend. Mir ist auch schon aufgefallen: Kochen und backen ist eher weiblich assoziiert. In den Sterne-Küchen und wenn es um Essen als Business geht, sind trotzdem vor allem Männer repräsentiert.
Ja, diesen Eindruck habe ich auch, wenn man die Branche von außen betrachtet.
Aus meinen persönlichen Erfahrungen der letzten Jahre kann ich mittlerweile berichten, dass ich auch einige weibliche Gastronominnen kenne - aber wenige, vor allem wenige bekannte Persönlichkeiten. Fun fact: während ich dies überarbeite, korrigiert autocorrect von Google direkt das “Gastronominnen” zu “Gastronomen”.
Haha, ja willkommen in der IN-VISIBLE Welt. Das Thema haben wir auch die ganze Zeit, fast alle Rechtschreibprogramme schlagen stetig die männliche Form vor. Als ich nach einem passenden Foto für den Social Media Post zu diesem Beitrag suchte, wurden mir unter dem Stichwort Gastronomie auch vor allem Fotos von weißen Köchen angezeigt. Wie äußert sich diesees Bild in deinem Alltag?
In einzelnen, seltenen Situationen kommt es vor, dass ich in meinem Café am Tresen stehe und die Haltung meines Gegenübers so auffasse, dass der oder diejenige erwartet, dass ich einen Chef habe / in der Position bin, “nichts zu sagen zu haben”. Diese Situationen sind jedoch sehr selten, deutlich weniger als zu den Zeiten, als ich tatsächlich Angestellte war. Und basieren natürlich auf einer sehr subjektiven, persönlichen Interpretation meinerseits.
Du hast einen japanischen Hintergrund - und dein Café heißt Sakura. Inwiefern spielt das hier eine Rolle?
Hohe Wertschätzung für Lebensmittel, für Schönheit der Natur und für Handwerkskunst habe ich in meiner Kindheit in Japan kennenlernen dürfen. Die Kirschblütenzeit ist eine Zeit, in welcher die Schönheit der Kirschblüte, welche so vergänglich ist, zelebriert wird. Der Name sakura (japanische Kirschblüte) ist also eine Metapher für Natürlichkeit, Schönheit, so wie wir bei sakura mit möglichst natürlichen, saisonalen Zutaten anstreben, ästhetische und wohlschmeckende Genussmomente in Form von Kuchen zu kreieren und anzubieten.
Im Kontext von Gender spielt meiner Auffassung und Intention nach weder der Name sakura noch der japanische Hintergrund eine Rolle. Aber der Name sakura, welcher im Japanischen auch ein weiblicher Vorname ist, ist durch Verbreitung von Manga- und Popkultur gerade auch im westlichen Raum möglicherweise mit sexistischen oder sogar sexualisierten Stereotypen assoziiert. Im Alltag unseres Cafés und unserer Konditorei spielt das - soweit ich es mitbekomme - jedoch keine Rolle.
Außerdem weigere ich mich, aufgrund von Konnotationen, welche möglicherweise in den Köpfen anderer Menschen mit dem Namen sakura bestehen, den Namen nicht für mein Konditoreikonzept zu nutzen.
Richtig so. Label und Zuschreibungen nach den Erwartungen anderer zu richten, ist glaube ich selten eine gute Idee. In erster Linie geht es meiner Erfahrung nach immer darum, selbst für etwas zu stehen - und das verkörpert sich dann nach Außen. Bei IN-VISIBLE stoße ich gleichsam genau bei diesem Thema auf Herausforderungen. Ich will z.B. eine Sprache nutzen, die meinen Ansprüchen gerecht wird. Andere, darunter auch diejenigen, denen ich einen Dialog anbieten möchte, fühlen sich davon abgehangen, sie sind direkt defensiv, wenn ich mit meiner “Gendersprache” ankomme, so wie sie das nennen.
Das ist ein stetiger Balance-Akt zwischen den eigenen Vorstellungen und Vorstellungen der Anderen. Den gibt es bei dir sicher auch: Japanischer Service ist weltbekannt und damit kommen auch Assoziationen und Erwartungen, die ich mir herausfordernd vorstelle. Ich muss sagen: Ich persönlich habe die schlimmsten Sexismus-Erfahrungen in der Gastronomie machen müssen. Und das war so normalisiert, dass es mir als Studentin nie in den Sinn gekommen wäre, meine Erfahrungen zu thematisieren. Das lag auch an einer klaren Hackordnung zwischen Festangestellten, Azubis und Aushilfen, wobei ich zur letzten Gruppe gehörte. Ich fand dieses Umfeld zwischen “der Kunde ist König” und hierarchischer und teilweise prekärer interner Struktur wahnsinnig toxisch.
Ja, die Diskrepanz zwischen “der Kunde ist König” Servicequalitätsanspruch, und teilweise prekären zwischenmenschlichen Verhältnissen innerhalb von Gastronomie-Teams ist für mich auch ein riesiges Problem. Glücklicherweise habe ich selber nicht allzu viele schlimme Erfahrungen in der Hinsicht machen müssen. Vereinzelte Situationen, in welchen ich mich respektlos behandelt gefühlt habe, sind mir trotzdem in Erinnerung geblieben.
Beispielsweise als ein Gast im Café, in dem ich damals angestellt war, sich sehr verächtlich über Gastronomieverdienst im Tonfall “achja, ich würde mir das ja nicht gefallen lassen, aber du bist ja jung und weiblich” äußerte, oder in einem anderen Fall, als ich mir meinen Restlohn vom damaligen Arbeitgeber einklagen musste. Bei letzterem Arbeitgeber fällt mir zu dem Thema doch noch etwas ein - in einer Diskussion, als ich auf meine Rechte als Arbeitnehmerin bestand, wurde mir mit “Japaner sind doch immer so freundlich - du bist aber nicht sehr japanisch” entgegnet. Zudem habe ich am Rande immer wieder von Kolleg*innen mitbekommen, welche in sehr hierarchischen Strukturen gearbeitet und darunter gelitten haben. All das hat dazu beigetragen, dass ich anfangs vor der Komplexität des Vorhabens, ein menschenfreundliches Arbeitsumfeld in meiner Konditorei schaffen zu wollen, abgeschreckt war. Ich glaube mittlerweile, dass ich zeitweise der Auffassung war, solche Strukturen und Zustände entstünden automatisch unter dem Druck der Gastronomie, auch bei Menschen, die niemals solche Intentionen hatten.
Menschenfreundlichkeit, Diversität als Normalität und gegenseitiger Respekt - sowohl innerhalb des Teams, innerhalb unserer Lieferketten, als auch im Café in der Interaktion mit unseren Gästen sind also grundlegende Werte bei uns bei sakura und Kernbestandteil meiner Gründungsmotivation, ein nicht nur umweltfreundliches, sondern auch sozial nachhaltiges Konditorei- und Cafékonzept zu etablieren.
Das ist so wichtig, ich denke viele andere Betriebe könnten in deinem Konzept Inspiration finden. An wen wendest du dich, wenn es mal schwierig wird und wer oder was hilft dir auf deinem Weg?
Die sakura crew - meine Teammitglieder, welche die Vorstellungen von guten Produkten und guten Arbeitsbedingungen teilen und tatkräftig für eine positive Teamkultur, eine produktive Zusammenarbeit in einem positiven, menschenfreundlichen Umfeld sorgen.
Und auch in anderen Gastronomie-Betrieben sehe ich in der Öffentlichkeit mittlerweile, dass es auch anders geht. Achtung für Lebensmittel, für unsere Lebenswelt und für unsere Mitmenschen werden in einigen Gastro-Konzepten hochgehalten, das ist sehr schön zu sehen und macht Hoffnung.
Mir persönlich hat vor allem der Startpunkt: Alte Münze geholfen - eigentlich ein Kulturstandort in Berlin. Dort die Gelegenheit zu bekommen, Raum zu nutzen um Produkte und Geschäftsidee auszutesten, war eine super Starthilfe. Ebenfalls entwickelten sich dort Kollaborationen, die bis heute bestehen.
Auch Support aus meinem persönlichen Umfeld, von Familie und Freunden ist ein Privileg, ohne welches mir das ganze Unterfangen nicht möglich gewesen wäre.
Außerdem: Netzwerke wie der Feminist Food Club, die Handwerkskammer, welche Handwerksbetriebe mit einigem an Beratung unterstützt, sowie die GLS Bank, welche nachhaltige Projekte finanziert.
Coaching-Angebot für weibliche Gründungen ist vorhanden, aber generell Mangel an Förderung von nachhaltigen Gastro-Konzepten. Förderung für tech-orientierte, nachhaltige/umweltfreundliche Food-Produkte ist vorhanden, jedoch nicht für auch stark auf Arbeitsbedingungen und soziale Nachhaltigkeit fokussierte Gastro-Projekte. Das finde ich ärgerlich zu hören. So wissen wir ja, dass gerade weibliche Gründungen oft Nachhaltigkeitsaspekte mitdenken. Auf der einen Seite wird immer gefordert, mehr Frauen sollen gründen. Auf der anderen Seite gibt es meiner Ansicht nach vor allem Gelder für skalierbare Tech Start-Ups. Personen wie du sind auch Gründerinnen, Konzepte, wie das deine, sind auch förderwürdig. Was wäre dein einer Wunsch, wenn ich dir den erfüllen könnte? Für dich und das Sakura?
Ganz idealistisch: Weltfrieden.
Menschen sollten ihre verschiedenen Privilegien klug nutzen, um andere und sich gegenseitig zu empowern, mit dem Ziel, kollektiv eine nachhaltigere Gesellschaft und Wirtschaftsweise aufzubauen. Speziell in der Gastronomie wäre mir das ein Herzensthema - aber auch in jedem anderen Kontext nicht minder wichtig.
Ich weiß, das waren jetzt zwei Wünsche - die schließen sich gegenseitig aber nicht aus.
Zwei Wünsche lasse ich dir durchgehen. Danke Jojo.
Das Interview führte Rea, während sie das sehr empfehlenswerte Bananenbrot schlemmte. Es lohnt sich dieses und viele weitere Leckereien vor Ort zu probieren. Mehr Infos über sakura, Öffnungszeiten und aktuelle Besonderheiten könnt ihr auf der Webseite oder auf Instagram finden.
Das Interview mit Jojo ist Teil der Gender Spotlights, einer Kampagne von IN-VISIBLE, in der zweiten Monat der Scheinwerfer auf eine andere Branche gerichtet wird um die Bedeutung von Gender in diesem Bereich zu verstehen. Alle vergangenen Gender Spotlights sind auf dem IN-VISIBLE Instagram unter den Highlights zu finden.