“[Es gibt uns], weil die Sexualkunde unserer Meinung nach dringend ein Update braucht! Rund 67% Prozent der Lehrenden werden im Studium gar nicht auf den Teil der Sexualkunde vorbereitet,” - das sagen Nessi und Caro, die Gründerinnen von KNOWBODY. In unserer neuesten Ausgabe von People Who Inspire Us führen sie das und viele weitere Dinge weiter aus: Wir sind froh, dass ihr heute hier seid. Uns vereint unsere Mission, uns für mehr
Gendergerechtigkeit einzusetzen und unseren Teil dazu beizutragen, Räume inklusiver zu gestalten. Bei uns sind das vor allem Räume, in denen Erwerbsarbeit geleistet wird. Bei euch sind das eher Klassenzimmer. Also: Wer seid ihr und was macht ihr? "Wir sind Nessi und Caro, die Gründerinnen von KNOWBODY. Gemeinsam mit unserem Programmierer Fabian und einem tollen Team aus Pädagog*innen, Designer*innen und Mediziner*innen haben wir eine App für sexuelle Bildung ab der 6. Klasse entwickelt. Die App enthält Lehreinheiten von 45 bis 90 Minuten zu Themen wie Beziehungen, Geschlecht, Körper oder Sexualität und Medien. Die Inhalte orientieren sich an den Lehrplänen der Bundesländer sowie an den Standards für die Sexualaufklärung der WHO/BZgA. Die App kann auf privaten Smartphones oder schuleigenen Geräten zum Einsatz kommen. Ziel ist es, der Verbreitung von Mythen und falschen Normvorstellungen sowie der Tabuisierung von Sexualität entgegenzuwirken und sicherzustellen, dass Jugendliche verantwortungsbewusste Entscheidungen in Bezug auf ihren Körper und Sexualität treffen können."
Danke, das ist super spannend. Wir haben tatsächlich anfänglich bei IN-VISIBLE auch Workshops für Schulen gemacht, ehe wir uns eher auf politische und wirtschaftliche Organisationen fokussiert haben. Wir haben nämlich, genau wie ihr, bemerkt, dass es da unglaublich große Unsicherheiten gibt. Also haben wir viele Interviews geführt und einen Workshop konzipiert, in dem es um Sexualität ging – und nicht nur um Reproduktion. Aber dann haben wir auch gemerkt, dass es da schon ganz tolle Akteur*innen gibt, die viel Arbeit leisten. Und teilweise auch Stimmen, die meinen, Sexualkunde wäre genug. Wie fügt sich die Knowbody App in dieses System ein? Oder, provokant gefragt: warum brauchen wir das?
“Weil die Sexualkunde unserer Meinung nach dringend ein Update braucht! Rund 67% Prozent der Lehrenden werden im Studium gar nicht auf den Teil der Sexualkunde vorbereitet. Die Inhalte der Biologiebücher sind nicht aktuell, sondern teilweise sehr veraltet, die Bezeichnungen oder Darstellungen von Geschlechtsteilen gar falsch. Diverse Darstellungen von Körpern, Beziehungen und Identitäten sucht man vergebens. Viele weitere Themen, wie der z.B. der Umgang mit Pornographie, werden gar nicht behandelt. Deshalb verwundert es auch nicht, dass Schüler*innen ihrem Sexualkundeunterricht im Durchschnitt gerade einmal die Schulnote 3,7 geben und sich mit ihren Fragen lieber an Google und Co. wenden. Dort findet natürlich auch keine gesicherte und gesunde Aufklärung statt. Unser Fazit: Aufklärung läuft also gerade nirgendwo so richtig rund - und das im 21. Jahrhundert! Wir möchten vielfältige und ganzheitliche Sexualaufklärung digital für das Lernen in und außerhalb der Schule aufbereiten, um so allen Jugendlichen gesicherte Informationen über ein ihnen vertrautes Medium zur Verfügung zu stellen.
Und: Wir stimmen dir auf jeden Fall darin zu, dass es bereits tolle Akteur*innen gibt, die gut sexuelle Bildungsarbeit leisten. Diese findet nur leider noch nicht flächendeckend ihren Weg in die Klassenzimmer. Vereine und Organisationen haben nur begrenzte Kapazitäten für Workshops und gute digitale Inhalte sind oft nicht für den Unterricht ausgelegt. Wir möchten KNOWBODY als Lehr- und Lernmittel flächendeckend etablieren und so auch bestehenden guten Inhalten eine Plattform bieten."
Wenn man euch da so zuhört, wird man unruhig, zumal Studien ja zeigen, dass sich Kinder und Jugendliche dann die Infos von anderen Quellen holen. Dem etwas entgegenzusetzen ist nicht nur wichtig, sondern auch dringend. Denn obwohl es super tolle Inhalte im Internet gibt, wie zum Beispiel das Format Glanz und Natur, gibt es ja auch Fehlinformation. In unseren Workshops machen wir zum Beispiel die Erfahrung, dass die Worte Gender und Sexualität meistens an ein binäres Verständnis (Zweigeschlechtlichkeit) gekoppelt sind. Wie geht ihr damit auf eurer App um?
“Wir verfolgen in der App einen vielfaltsbewussten und diskriminierungsreflektierten Ansatz. Das heißt, dass bei uns Vielfalt, genau wie in der Realität auch, in allen Bereichen dazugehört. In der App zeigt sich das z.B. in unseren Darstellungen, in den gewählten Beispielen und natürlich auch in unserer gendersensiblen Sprache. Dabei ist es uns wichtig über Diskriminierungsformen aufzuklären und Anstoß dafür zu geben, gesellschaftliche Normen wie die der Zweigeschlechtlichkeit kritisch zu hinterfragen. In einigen Lerneinheiten steht genau das im Fokus, z.B. in der Lerneinheit „Beziehungsnormen“. Es ist uns aber auch wichtig, Themen der Vielfalt nicht als „extra Thema“, abseits der vermeintlichen Norm zu präsentieren, sondern Vielfalt vielmehr ganz natürlich in all unsere Inhalte einfließen zu lassen. In der Lerneinheit „Gefühle erkennen“ tragen die Protagonist*innen der Sprachnachrichten zum Beispiel alle geschlechtsneutrale Namen, sodass die Zuschreibung des Geschlechts von der hörenden Person selbst vorgenommen werden kann (und dabei auch schon manch spannende Diskussion im Klassenraum entstanden ist). In der Lerneinheit „Bodyscan“ wiederum steht die Funktionalität und nicht die vermeintliche Geschlechtszugehörigkeit der Körperstellen im Vordergrund.”
Spannend. Die heutigen Schüler*innen kennen kein Leben ohne das Internet, Laptops, Tabletts und Smartphones. Das birgt unglaubliches Potenzial. Glaubt ihr, dass ihr sie deshalb vielleicht besser mit einer App erreicht als zum Beispiel mit Workshops oder ähnlichen Formaten?
“Auf jeden Fall. Vor allem, weil es im Kontext der Schule nach wie vor eine Besonderheit darstellt, mit einem digitalen Medium zu arbeiten. Das Feedback aus unserer Pilotphase hat gezeigt, dass die Schüler*innen allein dadurch motiviert werden, dass sie ihr Handy oder ein Tablet nutzen dürfen. Natürlich stößt die Thematik generell auf viel Interesse und Neugier. Die App gibt den Schüler*innen dabei die Möglichkeit, die Inhalte in ihrem eigenen Tempo zu erkunden und dabei einen sicheren Raum für sich zu haben. Die Aufgaben sind meistens so ausgelegt, dass die Schüler*innen sich zunächst allein mit dem Thema auseinandersetzen können und dann entscheiden, welche Gedanken und Gefühle sie mit anderen teilen möchten. Denn ein offener Austausch und Kommunikation zu den Themen ist natürlich genauso wichtig und soll durch die Aufgaben in der App in der Klasse angeregt werden. Die App bietet zudem die Chance, verschiedene Lerntypen anzusprechen, da wir mit Text-, Video- und Audioformaten arbeiten und komplexe Inhalte mit Hilfe von Animationen oder Spielen verständlicher machen können.”
Wir erinnern uns an den riesigen Aufschrei, den es vor einigen Jahren gab, als queere Inhalte in Sexualkunde integriert werden sollten. Wie reagiert ihr auf skeptische Eltern, die unsicher sind, wie viel Kinder zum Thema Sex und Sexualität erfahren sollen und dementsprechend nicht bereit wären, ihren Kinder eure App zu erlauben?
“Die Inhalte unserer App sind an der Lebensrealität der Jugendlichen ausgerichtet. Das heißt: Wir behandeln Themen, mit denen sich die Jugendlichen bereits auseinandersetzen und die zudem auch im Lehrplan verankert sind. Unsere App folgt dabei aber auch immer dem Prinzip der Freiwilligkeit. Das heißt: Jede Person schaut sich nur das an, womit sich die Person wohlfühlt und kann bei Aufgaben auch jederzeit aussetzen oder alternative Aufgaben bearbeiten. Wir möchten die Jugendlichen mit der App ja genau dazu befähigen: Selbstbestimmte Entscheidungen in Bezug auf ihre eigene Sexualität zu treffen. Studien bestätigen zudem, dass Sexuelle Bildung einen wichtigen Bestandteil in der Prävention von sexualisierter Gewalt darstellt.”
Danke, Nessi und Caro! Wir freuen uns, euch für People Who Inspire Us gewinnen und andere an eurer inspirierenden Arbeit teilhaben lassen zu können.
Das Interview führte Alicia. Weitere Infos zur KNOWBODY App könnt ihr in diesem ZDF Beitrag finden; das Projekt unterstützen kann man hier.
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