Hallo Luka. Wo bist du gerade, wie sieht es da aus und was sagt das über
dich aus?
Ich arbeite gerade von zuhause in meiner kleinen Wohnung im Wedding. Hier ist es ziemlich bunt, ein bisschen chaotisch und von oben bis unten voll mit Kostümen und Kreativkram, und mir wird tatsächlich immer wieder gesagt, dass meine Wohnung genau so ist wie ich. Und dass sie sehr einladend und gemütlich ist - ich hoffe, das spiegelt mich genauso wider. Wenn ich mich so umschaue, sagt eigentlich jedes Detail was über mich aus: die trans Flagge, die neben meinem Schreibtisch hängt, mein Bücherregal voller Sachbücher zu Geschichte und Soziologie, oder der Glitzer in sämtlichen Fugen des Holzbodens. Du bringst super viel Erfahrung in der queeren Bildungsarbeit mit in unser Team und du hast, bevor du zu uns gekommen bist schon jahrelang vor unterschiedlichen Gruppen Workshops und Trainings zu Gender und anderen Diversität Themen gemacht. Wie bist du in diesem Bereich gelandet?
Ich wollte zuerst sagen “über einige Umwege”, aber im Nachhinein war es eigentlich eine ziemlich natürliche Entwicklung. 2007 habe ich beim Jugendnetzwerk Lambda als ehrenamtliche*r Peer-Berater*in angefangen, weil ich Lust hatte, andere junge LSBTQIA+ Leute zu unterstützen. Lambda wurde dann ein bisschen mein Zuhause und ich habe dort an vielen Projekten mitgearbeitet, unter anderem auch für Aufklärungsworkshops an Schulen. Dort habe ich erste Erfahrungen in der Bildungsarbeit gesammelt und bin über die Jahre dabei geblieben, später dann vor allem im Rahmen der LesBiSchwulen T*our in Brandenburg. Die hat mir nebenbei auch nochmal gezeigt, wie wertvoll es ist, Brücken zu bauen und auch Menschen abzuholen, die mit solchen Themen bisher weniger oder nur über fragwürdige Medienberichte in Berührung gekommen sind. Long story short, vor einer Weile fragte mich ein*e Freund*in, ob ich einen Workshop dazu machen könnte, wie man gut mit trans Menschen umgeht, weil das am Arbeitsplatz Thema war - der kam sehr gut an, ich wurde immer öfter angefragt, und als ich merkte, dass mir das tatsächlich liegt und Spaß macht, habe ich beschlossen, es als Beruf zu machen.
Was waren einige deiner Highlights aus der Arbeit mit Jugendlichen und wo waren Frustrationspunkte? Was müsste sich deiner Meinung nach ändern?
Ich finde es in der Arbeit mit Jugendlichen immer total toll zu sehen, wie viel Offenheit für Diversity-Themen da ist, weil sie alle an der einen oder anderen Stelle anknüpfen können. Mein Highlight ist immer, wenn Teilnehmende mir Begriffe erklären, die ich selbst noch nicht kannte, weil sich Jugendliche immer mehr mit der eigenen Identität bewusst auseinandersetzen. Als jemand, der seit inzwischen 20 Jahren offen queer lebt, sehe ich da eine große Entwicklung und freue mich auch immer sehr, wenn ich erleben kann, dass in einer Klasse oder Gruppe queere Jugendliche ganz offen sie selbst sein können - das war selbst zu meiner Schulzeit eher nicht so. Was jetzt nicht heißen soll, dass queere Jugendliche keine Probleme mehr haben, Mobbing und Ausgrenzung gibt es leider immer noch oft genug. Aber das liegt meiner Erfahrung nach vor allem an dem, was Kindern und Jugendlichen vorgelebt wird, und in Schule und insbesondere Ausbildung wird z.B. Diversity im Allgemeinen und geschlechtliche und sexuelle Vielfalt im Besonderen oft kaum thematisiert und es heißt “Solche Leute gibt es bei uns nicht.” Doch, “solche Leute” gibt es überall, wenn nicht LSBTQIA+, dann Menschen, die aufgrund anderer Merkmale diskriminiert werden - und das äußert sich im Umgang miteinander ja oft auf sehr ähnliche Weise. Das ist mein größter Frustrationspunkt, dieses Gefühl von “Das betrifft mich nicht, da muss ich mich nicht mit beschäftigen.” Das muss sich definitiv ändern! Wir sind eine diverse Gesellschaft und werden nur noch diverser werden, und das ist nur dann ein Problem, wenn wir nicht schon von Kindheit auf lernen, respektvoll miteinander umzugehen.
Stichwort Respekt. Das ist ja auch ein Wert, den wir versuchen in unseren Workshops mit IN-VISIBLE in den Vordergrund zu bringen. Inwiefern haben dich deine Erfahrungen zu IN-VISIBLE gebracht und was erhoffst du dir hier von der Arbeit mit Erwachsenen?
Mein Interesse an der Arbeit mit Erwachsenen kommt unter anderem aus der beschriebenen Frustration: wenn die Verantwortlichen immer abblocken, kann sich nichts ändern, und deshalb müssen sie selbst erst mal sensibilisiert werden. Es bringt nichts, wenn ich Jugendlichen in einem Workshop eine Sache sage, ihre Vorgesetzten ihnen aber weiterhin das Gegenteil vorleben. Ich erhoffe mir deshalb von der Arbeit mit Erwachsenen, das Problem an der Wurzel anzupacken und dazu beizutragen, dass mehr Menschen verstehen, warum DEI für alle wichtig ist und unser alltägliches Leben betrifft - von dem unsere Lohnarbeit nun mal einen großen Teil ausmacht. Mein Traum wäre, dass Diversität irgendwann gar kein Thema mehr ist, weil wirklich alle die gleichen Chancen haben und unabhängig von Gruppenzugehörigkeiten gut miteinander arbeiten. Das ist noch ein weiter Weg, aber ich hoffe, u.a. durch die Arbeit von IN-VISIBLE dazu beitragen zu können. Wobei ich, ganz ehrlich gesagt, gar nicht vorhatte, das hauptberuflich zu machen. Aber dann schickte mir ein Freund die Stellenanzeige von IN-VISIBLE und es passte für mich alles so genau zu meiner eigenen Vision und meinem Verständnis von DEI und Geschlechtergerechtigkeit, dass ich dachte “okay, da will ich hin.”
Voll schön, dass du jetzt tatsächlich da bist. Und das nun schon seit fast zwei Monaten. Du bist bei uns als Berater*mit einem Schwerpunkt auf Trainings angestellt. Woran arbeitest du derzeit, konkret?
Konkret bin ich gerade vor allem mit der Überarbeitung, Vereinheitlichung und Durchführung unserer Workshops zu Geschlechtergerechtigkeit beschäftigt, was für mich ein toller Einstieg ist, weil da ja vor allem meine Expertise liegt. Auf der Beratungsseite arbeite ich außerdem an einem größeren Beratungsprojekt, für das ich in den letzten Wochen viele Interviews mit Mitarbeitenden eines Unternehmens geführt habe und jetzt auswerte und aufbereite. Das ist interessant. Was erzählen die denn da so und was passiert dann mit den Daten? Es geht in den Interviews vor allem darum, wie Mitarbeitende Diversität in ihrem Arbeitsumfeld wahrnehmen: was bedeutet das für sie, was wünschen sie sich in dem Zusammenhang, welche Ideen haben sie? Wir haben eine relativ große Breite unterschiedlicher Meinungen gehört, von total Anti-Diversität bis sehr aktiv für mehr Vielfalt, und was ich dabei richtig spannend war, war zu sehen, dass alle genau dieselben Probleme identifizieren, sie aber je nach Positionierung total unterschiedlich einordnen und bewerten. Und dass sich alle an der einen oder anderen Stelle mehr Diversität wünschen, sogar diejenigen, die in ihrer eigenen Wahrnehmung eigentlich vehement dagegen sind - das zeigt mir wieder, wie wichtig es ist, Leute abzuholen und ihnen zu zeigen, was Diversität wirklich bedeutet. Wir werden entlang dieser Ergebnisse jetzt einen Workshop für den Unternehmensvorstand entwickeln und das Ziel ist natürlich, dort Bewusstsein zu schaffen und eine längerfristige Entwicklung hin zu mehr Diversität und Gleichstellung anzustoßen.
Danke für die Einblicke. Nun gibt es ja auch noch Luka außerhalb der Arbeit. Und glücklicherweise haben wir bei IN-VISIBLE eine 4-Tages-Woche. Was machst du denn so, wenn du gerade nicht arbeitest?
Ich bin seit Jahren als Drag Performer auf den queeren Berliner Bühnen unterwegs und damit bin ich viel beschäftigt: Nummern entwickeln und proben, Kostüme und Requisiten gestalten Generell mache ich super gerne kreative, künstlerische und handwerkliche Sachen, fast schon egal, was es genau ist. Außerdem habe ich seit kurzem einen Kleingarten und lese gerade ganz viele Bücher dazu, um im Frühjahr so richtig mit meinem eigenen Obst und Gemüse durchzustarten - darauf freue ich mich schon sehr! Wir freuen uns sehr! Und zwar sowohl dich auf der ein oder anderen Bühne zu entdecken, als auch mit dir zusammen Kleingarten- Obst und Gemüse zu verkosten. Zum ersten Punkt hab ich nun doch noch eine Frage. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, ob wir nicht mal einen Drag-Workshop für Führungskräfte anbieten. Um die Performativität von Gender erlebbar zu machen, was ja gerade im Business Kontexten oft gar nicht so einfach ist...Was bedeutet Drag für dich?
Drag-Workshops für Führungskräfte - oder auch allgemein im Arbeitskontext - fände ich toll! Ich glaube sowieso, dass jeder Mensch mal Drag ausprobieren sollte, und wenn es nur für einen Nachmittag ist. Wir brauchen alle dieses Erlebnis von “Hey, jetzt trage ich einen Rock und Lippenstift, aber ich bin ja trotzdem noch ein Mann! Vielleicht muss ich gar nicht allen Normen entsprechen, auf die ich eigentlich keine Lust habe!” (Oder je nachdem auch “... vielleicht bin ich ja doch kein Mann”, auch das kann natürlich sein.) Wenn ich Drag-Workshops gebe, ist es immer wieder großartig zu sehen, wie Teilnehmende anfangs ganz schüchtern sind und im Laufe des Workshops immer mehr aus sich rausgehen und sich trauen, zu experimentieren.
Für mich ganz persönlich bedeutet Drag eine Kunstform, in der ich einfach alle meine Leidenschaften zusammenbringen kann: Performance, Kostüm, Make-up und nicht zuletzt queeren Aktivismus und Community-Building. Danke für das Interview und für deine Arbeit mit uns, Luka. Luka (alle Pronomen) ist seit dem 01.10.2022 bei IN-VISIBLE; das Interview hat Rea geführt.